Orgelgeschichten aus dem Oldenburger Münsterland

in den »Heimatblättern«, Beilage zur Oldenburgischen Volkszeitung

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Eine Domorgel für Vechta

Geschichte und Geschichten zur Orgel in der Kirche Maria Frieden in Vechta

von Dr. Gabriel Isenberg

 

In den Orgelgeschichten aus dem Oldenburger Münsterland geht es in dieser Ausgabe weiter mit der Reise in die Kreisstadt, in eine Kirche aus der Nachkriegszeit. In unmittelbarer Nähe zur Overberg-Schule im Vechtaer Norden entstand 1953/54 die Maria-Frieden-Kirche – ein moderner, geräumiger Backsteinbau nach den Plänen des Architekturbüros Sunder-Plaßmann in Cloppenburg.

 

Die Kruse-Orgel von 1959 in Maria Frieden – Ansicht der rechten Gehäuseseite oberhalb des Spieltischs | Foto: Titelseite des Faltblatts zur Orgelweihe, 1959
Die Kruse-Orgel von 1959 in Maria Frieden – Ansicht der rechten Gehäuseseite oberhalb des Spieltischs | Foto: Titelseite des Faltblatts zur Orgelweihe, 1959

Orgel von Herbert Kruse gehört zur Grundausstattung
In den Jahren nach der Konsekration der Kirche am Fest Mariä Namen, den 11. September 1954, begab sich die Gemeinde nach und nach an die Ausstattung und Ausschmückung der Kirche. Dabei durfte natürlich auch eine Pfeifenorgel nicht fehlen – bislang hatte man sich mit einem kleinen Harmonium ausgeholfen. So startete im September 1956 eine Spendenaktion zugunsten der Anschaffung von Orgel und Glocken. Dazu verpflichteten sich fast alle verdienenden Gemeindemitglieder zu einem monatlichen Spendenbeitrag von 1 DM. Auf diese Weise kam im Laufe von rund zwei Jahren so viel Geld zusammen, dass der Auftrag zum Bau der Orgel vergeben werden konnte.
Das neue Instrument wurde am 10. Mai 1959 im Rahmen einer kirchenmusikalischen Festandacht durch Offizial Heinrich Grafenhorst feierlich eingeweiht. Studienrat Otto Schmelz aus Vechta, der bei der Planung der Orgel maßgeblich beteiligt war, spielte Orgelwerke von Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach und Hermann Schroeder.
Erbauer der Orgel war Herbert Kruse in Lohne. Kruse, am 7. Juli 1931 in Hildesheim geboren, hatte 1956 die Orgelbauwerkstatt von Otto Ritter in Goldenstedt übernommen und innerhalb kürzester Zeit etliche größere Orgelbauaufträge im Kreis Vechta bekommen. Die Orgel in der Maria-Frieden-Kirche war mit 24 Registern auf drei Manualen und Pedal das größte Instrument, das in der Lohner Werkstatt von Kruse erbaut worden ist.

Die Cladders-Orgel (2006) in der Kirche Maria Frieden in Vechta, in der optischen Gestaltung von Herbert Kruse 1959 und mit Bestandteilen der Osnabrücker Domorgel von Franz Breil 1963 | Foto: Gabriel Isenberg, 2011
Die Cladders-Orgel (2006) in der Kirche Maria Frieden in Vechta, in der optischen Gestaltung von Herbert Kruse 1959 und mit Bestandteilen der Osnabrücker Domorgel von Franz Breil 1963 | Foto: Gabriel Isenberg, 2011

Das zu beiden Seiten der großen Empore positionierte Orgelgehäuse umrahmt mit seinen geschwungenen Linien auf gelungene Weise die große Fensterrosette. Ein wesentliches gestalterisches Element sind dabei neben den Zink- und Zinnpfeifen aus den Prinzipalregistern aller Werke (im II. Manual Weidenpfeife) auch die dunklen Mahagoniholz-Pfeifen der Flöten- und Gedacktregister.
Die recht steile Disposition, die neben den 24 ausgeführten Registern den späteren Einbau von sechs weiteren Registern vorsah, ist typisch für den neobarocken Klangaufbau, den man in der Nachkriegszeit im Orgelbau pflegte. Dass es damals wichtig war, die Erfüllung eines bestimmten Orgelideals zu betonen, sieht man auch daran, dass in dem Faltblatt zur Orgelweihe eigens betont wurde: „Die Intonation des Pfeifenwerkes erfolgte bei offenen Pfeifenfüßen und niedrigen Aufschnitten als Kernspaltenintonation ohne jegliche Kernstiche.“ In technischer Hinsicht jedoch war Kruse – wie viele Orgelbauer vor allem aus dem katholischen Milieu in dieser Zeit – noch der industriellen Fertigung der Vorkriegszeit verpflichtet. Während andere Orgelbauer sich inzwischen längst wieder der rein mechanischen Schleifladen-Bauweise zugewandt hatten, verwendete Kruse wie bei den meisten anderen seiner Werke das System der elektropneumatischen Taschenladen.
Von Anfang an gab es auch kritische Stimmen sowohl zum klanglichen Konzept des Vechtaer Instruments als auch zur Funktionssicherheit des technischen Systems. Nachdem der Orgelbauer Herbert Kruse am 2. September 1960 bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, übernahm die Orgelbauwerkstatt Alfred Führer in Wilhelmshaven 1962 die Pflege der Orgel in Maria Frieden. Immer wieder mussten die Orgelbauer anrücken, um Fehler zu beheben und Reparaturen vorzunehmen.
1966 wurden durch Orgelbau Führer zwei Register verändert, 1973 erfolgten weitere Umbauarbeiten durch den Wilhelmshavener Betrieb. Doch auf lange Sicht konnte die Kruse-Orgel nicht bestehen bleiben.

 

Die alte Osnabrücker Domorgel von Franz Breil 1963 | Foto: Postkarte
Die alte Osnabrücker Domorgel von Franz Breil 1963 | Foto: Postkarte

Aus zwei mach eins: Die erneuerte Orgel in Maria Frieden
Immer mehr verschlechterte sich der Zustand, und der inzwischen betreuende Orgelbauer Martin Cladders hielt 2003 in einem Gutachten fest, „dass die Tage dieser Orgel gezählt sind.“ Gleichzeitig erhielt in diesem Jahr der Dom zu Osnabrück eine neue große Orgel; und die alte Domorgel mit ihren 70 Registern, 1963 von der Orgelbaufirma Franz Breil aus Dorsten erbaut, stand zum Verkauf bereit. Im Kontakt mit Prof. Franz-Josef Rahe, dem Orgelsachverständigen des Bistums Osnabrück, wurde ein Konzept entwickelt, das vorsah, etliche Elemente aus der alten Osnabrücker Domorgel wiederzuverwenden, um die Orgel in der Maria-Frieden-Kirche zu neuem Leben zu erwecken.
Aus dem Bestand der Osnabrücker Domorgel wurden schließlich die elektrisch angesteuerten Schleifladen von Haupt- und Nebenwerk sowie rund 20 Register für Maria Frieden wiederverwendet. Die Pedalwindladen mussten neu angefertigt werden, die Labialregister im Pedal wurden von der Kruse-Orgel übernommen, hinzu kamen ein paar weitere Register aus Werkstattbeständen. Die äußere Gestaltung der Vechtaer Orgel blieb dabei unangetastet, um das in sich stimmige Raumensemble nicht zu zerstören – daher sind allerdings jetzt etliche der im Prospekt sichtbaren Pfeifen stummgeschaltet. Hinzu kam ein neuer Spieltisch, der in fahrbarer Ausführung frei auf der geräumigen Empore positioniert werden kann.
Die gesamte Maßnahme schlug mit rund 135.000 € zu Buche und wurde von der Kirchengemeinde aus verschiedenen Eigenmitteln selbst finanziert – unter anderem aus Einnahmen, die bei den großen Pfarrfesten erwirtschaftet wurden. Die Einweihung des durch die Orgelbauwerkstatt Martin Cladders in Badbergen auf diese Weise völlig erneuerten Instruments erfolgte am 3. Adventssonntag, den 17. Dezember 2006 durch Pfarrer Richard Büssing; an der Orgel spielten der Orgelsachverständige des Bischöflich Münsterschen Offizialats Vechta Stefan Decker sowie Daniel Kleine-Huster als Kirchenmusiker der Kirchengemeinde.
Bemerkenswert ist das klangliche Gesamtkonzept der erneuerten Orgel: Die beiden Manualwerke Haupt- und Nebenwerk werden durch ein sog. Freies Werk ergänzt, dessen Register sowohl dem ersten als auch dem zweiten Manual und dem Pedal zugeschaltet werden können. Die Register des Freien Werks, die in der Osnabrücker Domorgel ursprünglich dem Hauptwerk zugeordnet waren, können auf diese Weise auch dem Nebenwerk ein breiteres Labialstimmen-Fundament verleihen. Somit verfügt die Orgel über ein großes Angebot an farbenreichen Registrierungsmöglichkeiten. Durch die in den fahrbaren Spieltisch integrierte 4000-fache elektronische Setzeranlage lassen sich für liturgisches und konzertantes Spiel ausreichend Klangkombinationen einspeichern und per Knopfdruck abrufen.

Spieltisch der Orgel in Maria Frieden, erbaut von Martin Cladders 2006 | Foto: Gabriel Isenberg, 2011
Spieltisch der Orgel in Maria Frieden, erbaut von Martin Cladders 2006 | Foto: Gabriel Isenberg, 2011

Ein neues Leben für die Domorgel
Es ist ja nicht die gesamte alte Osnabrücker Domorgel, die heute in der Maria-Frieden-Kirche in Vechta erklingt. Aber die übernommenen Elemente können an dem neuen Ort nun gleich in zweifacher Weise überzeugen. Zum einen war die Domorgel damals in Osnabrück klanglich ungünstig positioniert, so dass ihr Klang in dem großen Kirchenraum nie so richtig zur Geltung kam. In Vechta kann das intonatorisch überarbeitete Pfeifenwerk jetzt viel unmittelbarer in den Kirchenraum sprechen.
Zum anderen ist damit nun in Vechta ein Instrument entstanden, das – obwohl es kein Neubau ist – in seiner klanglichen Konzeption gut durchdacht und (bei ausreichender Pflege, der es dafür selbstverständlich auch bedarf!) technisch dem ursprünglichen Kruse-Instrument weit überlegen ist.
Und nicht zuletzt präsentieren sich Kirche und Orgel als eindrucksvolles Raumensemble. Ob es Zufall ist, dass sowohl in der Maria-Frieden-Kirche als auch im Osnabrücker Dom eine große Fensterrosette von der Orgel umfasst wird und den Betrachter in ihren Bann zieht? So weht gleich in mehrfacher Hinsicht ein bisschen Dom-Flair in der Vechtaer Maria-Frieden-Kirche – optisch wie musikalisch!


Hier finden Sie einen detaillierten geschichtlichen Überblick mit Dispositions- und Quellenangaben:

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